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as Thema Tierwohl beschäftigt
Handel,
Fleischvermarkter
und Landwirte derzeit glei-
chermaßen intensiv. Antibiotika in der
Mast, „Massentierhaltung“, kupierte
Schwänze und Ferkelkastration sind
nur einige der Kritikpunkte, denen sie
sich immer wieder stellen müssen.
Verbraucher reagieren entsprechend
verunsichert und suchen nach Ange-
boten, die sie mit einigermaßen gutem
Gewissen kaufen können, ohne auf die
aus ihrer Sicht teuren Bio-Produkte
zurückgreifen zu müssen. Der Druck
auf den Handel wächst, Alternativen
anzubieten. Billige Massenware auf
Kosten des Tierwohls zu verramschen
– das wollen sich die führenden Han-
delsunternehmen Deutschlands künf-
tig nicht mehr vorwerfen lassen.
Die Verbraucher sollen zahlen
Sie üben deshalb den Schulterschluss:
Ein Maßnahmenpaket soll das Tier-
wohl für Geflügel, Schwein und auch
Rind verbessern. Die Grundzüge
scheinen klar zu sein. Die konkrete
Ausgestaltung wird allerdings noch
viel Detailarbeit erfordern. Angedacht
ist ein Andocken an das System der QS
Qualität und Sicherheit GmbH, weil
dort alle Stufen der Tierhaltung und
Fleischerzeugung vertreten sind. Ein
wichtiges Signal ist bereits in Richtung
Lieferkette ergangen: Nicht die einzel-
nen Glieder sollen den Mehraufwand
für ein Plus an Tierwohl bezahlen,
sondern der Verbraucher.
„Die Implementierung solcher
Maßnahmen zur Förderung tierge-
rechter Haltungsbedingungen ist un-
ter anderem mit einem höheren Kos-
tenaufwand verbunden. Hierbei ak-
zeptiert der Handel einen diesbezüg-
lichen Aufpreis, wenn dieser entspre-
chend in die Stufen der Wertschöp-
fungskette, in denen höhere Kosten
entstanden sind, zurückfließt. Um
dies zu unterstützen, ist ein transpa-
rentes Bonussystem zu installieren“,
heißt es in einem gemeinsamen Strate-
giepapier führender Handelsunter-
nehmen.
Ins Auge gefasst haben sie ein so-
genanntes sektorales Anreiz- und Bo-
nitierungssystem. Dabei wird für jede
Stufe der Fleischerzeugung – von den
Sauenhaltern über die Mäster bis zu
den Schlachtbetrieben – jeweils ein
Kriterienkatalog für ein Mehr an Tier-
wohl festgelegt. Für jedes Kriterium,
das ein Prozessbeteiligter erfüllt, be-
kommt er eine gewisse Zahl an Bonus-
punkten. Da das System auf Freiwillig-
keit basiert, kann sich jeder Beteiligte
entscheiden, welche Kriterien er erfül-
len möchte. Je mehr, desto mehr Bo-
nuspunkte. Über einen konkreten Kri-
terienkatalog muss aber noch ent-
schieden werden, ebenso über die ent-
scheidende Frage, welchen Geldwert
ein Bonuspunkt haben soll. Zudem ist
offen, wie die Finanzierung des Mo-
dells aussehen soll.
„Wir können helfen, gemeinsame
Kriterien zu definieren, Betriebe audi-
tieren und eine Punktbewertung vor-
nehmen“, heißt es seitens QS. Die Fi-
nanzierung managen könne QS dage-
gen nicht. Diskutiert wird deshalb
über die Einrichtung einer Clearing-
stelle, in die das Geld vom Verbrau-
cher über den Lebensmittelhandel
einfließen soll und die dann diese Mit-
tel gemäß den Bonuspunkten verteilt.
„Der Vorschlag des Handels liegt
auf dem Tisch, jetzt findet die Detail-
debatte statt“, sagt der Vertreter eines
Fleischvermarkters. Klar sei, dass am
Ende der Verbraucher zahlen müsse,
sonst gehe die Kalkulation nicht auf.
Das Fleisch dürfe aber insgesamt nicht
zu teuer werden, sonst werde es nicht
gekauft.
Als „sehr aufwendiges Konstrukt“
bezeichnet ein anderer Insider das ge-
plante System. Er gibt zu bedenken,
dass auch die Fleischwarenhersteller
mit eingebunden werden müssten.
Ansonsten rede man, beispielsweise
bei frischem Schweinefleisch, ledig-
lich über einen Anteil von 20 Prozent,
der im LEH abgesetzt werde. 40 Pro-
zent gingen in die Weiterverarbeitung
(Fleischwaren), der Rest in den Ex-
port.
Offen bleibt zunächst auch eine an-
dere Frage, wenn das System einmal
stehen sollte: Wie soll die Branche für
ihre Anstrengungen werben? Zum ei-
nen könnte QS-Ware langfristig kom-
plett mit den Tierwohl-Faktoren hin-
terlegt sein, das bestehende QS-Logo
gewissermaßen „aufgeladen“ und mit
einer Informationskampagne begleitet
werden. Zum anderen wäre auch ein
QSPlus-Logo denkbar, das Ware mit
besonderen Tierwohl-Aspekten kenn-
zeichnen würde.
In Sachen Kennzeichnung schla-
gen die Fleischvermarkter Vion und
Bäuerliche Erzeugergemeinschaft
Schwäbisch Hall (BESH) bereits einen
eigenenWeg ein. Sie setzen auf das La-
bel des Deutschen Tierschutzbundes
(DTB), das dieser für Schweine und
Hühner derzeit erarbeitet. Marktreif
soll das zweistufig ausgestaltete Zei-
chen (1- und 2-Sterne-Standard) nach
Einschätzung des Präsidenten des
Tierschutzbundes, Thomas Schröder,
noch in diesem Jahr sein. Was noch
fehlt, ist ein Zertifizierungs- und Kon-
trollsystem.
Eigenes Label
Vion wird das Fleisch, das nach dem
1-Sterne-Standard erzeugt wird, über
die Coop in Kiel vermarkten. Die Pi-
lotbetriebe seien bereits lieferfähig,
sagt Heinz Schweer, Direktor Land-
wirtschaft bei Vion Food Germany auf
LZ-Anfrage. „Wir testen das, sobald es
grünes Licht für das Label des Tier-
schutzbundes gibt. Der Verbraucher
an der Theke entscheidet, ob er dieses
Fleisch haben möchte oder nicht.“ Fal-
le der Test positiv aus, werde das Gan-
ze breiter aufgestellt. Nach Schweers
Angaben haben auch bereits Fleisch-
warenhersteller und Schinkenanbieter
Interesse an dem Label-Fleisch bekun-
Der Handel drängt bei den Bemühungen um mehr Tierwohl in der Fleischproduktion auf eine Branchenlösung. Dabei sollen alle
Glieder der Produktionskette einbezogen und das System der QS Qualität und Sicherheit GmbH als Gerüst genutzt werden.
Parallel dazu laufen Einzelinitiativen von Fleischvermarktern mit einzelnen Handelsunternehmen weiter, und der Deutsche
Tierschutzbund startet demnächst mit einem eigenen Tierschutzlabel. |
Kurt Hoffmann
Wohlfühlbonus
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Lebensmittel Zeitung
LZ 34
24.
August
2012
J O U R N A L
S O R T I M E N T E : F L E I S C H - U N D W U R S T WA R E N
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FOTO : C ARO/SCHWARZ