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Daneben hat der Berliner viele Käu-
fer, die gerne „wie früher“ sozusagen
direkt beim Bauern bestellen. „Meine
Kunden schätzen die Re-Connection
zu ihrem Fleisch“, erklärt der Biologe,
der derzeit berufsbegleitend ein Auf-
baustudium an der Humboldt Viadrina
School of Goverance absolviert.
Was als Praxisprojekt im Rahmen
des Studiums begann, löste inzwi-
schen einen internationalen Medien-
rummel aus. Die „Wurst mit Steck-
brief“ sorgt auch in der ausländischen
Presse wie „Le Matin“, „The Sun“,
„The Local“, „El Mundo“ bis hin zur
chinesischen Volkszeitung für Schlag-
zeilen.
Mittlerweile übersteigt die Zahl der
international veröffentlichten Beiträge
die Zahl der geschlachteten Schweine,
und zwar um ein Vielfaches. „Schwein
sells“, freut sich Buchmann. Durch die
Verbreitung in der Presse erreiche er
sehr viele Menschen mit seiner Missi-
on „Weniger Fleisch, mehr Respekt“.
Derzeit schreibt der Hobby-Wurstver-
käufer noch an seiner Masterarbeit.
Darin verwurstet er sozusagen seine
Geschäftsidee: Wie beeinflusst sie den
Fleischkonsum seiner Kunden?
Im Herbst, nach dem Ende seiner
akademischen Studien, will Dennis
Buchmann mit seiner Geschäftsidee
auf Expansionkurs gehen. Das Kon-
zept der ökologisch und politisch kor-
rekten Wurst will er dann in weiteren
Regionen der Republik auflegen und
zum Erfolg machen.
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M
anchem mag es etwas ma-
kaber erscheinen: Auf
dem Wurstglas blickt der
Kunde dem Rohstoffliefe-
ranten der Wurst sozusagen direkt in
die Augen – ein Portraitfoto des
Schweins in besseren Tagen macht es
möglich. Diese Art der „persönlichen“
Bekanntschaft mit dem in Wurst ver-
wandelten Tier liegt sicher nicht jedem
Fleischkonsumenten. Vielleicht wol-
len nicht alle ganz genau wissen, wie
die Leberwurst vorher aussah. Ande-
rerseits rangiert das Thema Tierwohl
in Verbraucherumfragen weit vorn.
Statt anonymer Massenware wollen
mehr Menschen Fleisch von glückli-
chen Tieren essen.
Die Konsumenten interessieren
sich wieder für die Haltungsbedingun-
gen. Sie suchen nach mehr Transpa-
renz und eine ursprünglichere Produk-
tion. Der Berliner Student Dennis
Buchmann hat diese Wünsche auf sei-
ner Website „meinekleinefarm.org“
nun auf seineWeise in die Praxis umge-
setzt. Wie in früheren Zeiten kann sich
der Mensch sein Fleisch – noch lebend
direkt beim Bauern – auswählen und
dann zu Wurst verarbeiten lassen. Das
Internet macht es möglich.
Eine Stunde von Berlin entfernt
fand sich der passenden Partner für die
Idee: Bioland-Bauer Bernd Schulz. Im
brandenburgischen Gömnigk züchtet
Schulz auf knapp 35 Hektar Fläche
Freilandschweine. Etwa 200 Tiere
tummeln sich auf den Weiden. Sie
wühlen im Schlamm, dösen im Gras
und genießen hier, statt der üblichen
Mastzeit von drei Monaten, fast neun
Monate lang ihr Schweineleben, bevor
es der Metzger im nächsten Dorf been-
det. Den Lebenszyklus vom kleinen
Ferkel bis zum Wurstglas auf dem
Tisch hat Buchmann in Gestalt einer
Kurzvita mit Nummer, Gewicht, Ge-
burtstag und Schlachtdatum im Netz
auflistet. Insgesamt 22 Schweine sind
bislang so zu Wurst in Gläsern verwan-
delt worden. Ein 130 Kilo schweres
Bio-Schwein ergibt etwa 250 Gläser
Wurst, 50 Schlackwürste, 40Mettringe
sowie Räucherschinken. 200-Gramm
Biowurst im Glas und Porträtfoto kos-
ten rund vier Euro.
„Viele Menschen haben den Bezug
zu Lebensmitteln verloren. Mit dem
Projekt wollen wir das Bewusstsein
wieder schärfen und zeigen, das hinter
dem Fleisch genau dieses Einzeltier
steht“, erklärt der Erfinder von „Meat
on a Mission“. Buchmann will die Kon-
sumenten auf diese Weise zum Nach-
denken anregen und den Respekt vor
dem Tier fördern.
Die Zielgruppe der modernen
„Fleischrespektierer“ ist vielfältig. Si-
cher kann Buchmann mit der Idee kei-
ne Vegetarier überzeugen, doch die
Zahl der Flexitarier, die weniger aber
dafür bewusster Fleisch konsumieren,
wächst nach Auffassung des ebenfalls
in Berlin ansässigen Vegetarierbunds
kontinuierlich.
Dennis Buchmann ist in einer besonderen Mission unterwegs: Statt anonymer Massenware
verkauft er Wurst mit direktem Bezug zum Tier. Die Etiketten der Wurstgläser zeigen Bilder
der verarbeiteten Schweine. |
Birgit Will
Mission: Portrait des
Schweins auf dem Deckel –
diese „Re-Connection“
schätzen viele Kunden.
Gesicht zeigen
FOTOS : BUCHMANN
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Lebensmittel Zeitung
LZ 34
24.
August
2012
S O R T I M E N T E :
F L E I S C H - U N D W U R S T WA R E N
etwa analog dem Bio-Siegel, bis heute
nicht in Sicht seien. Die zunehmenden
Debatten um eine solche Kennzeich-
nung zeigten aber, dass die Zeit reif
dafür sei. Das Label des Tierschutz-
bundes stehe für Mehrwert an Tier-
schutz und stelle deutlich höhere An-
forderungen als der Gesetzgeber ver-
lange.
Ordentliche Entwicklung
Mit einem eigenen Label „Aktion Tier-
wohl“ ist Westfleisch bereits im No-
vember 2010 gestartet. „Das Pro-
gramm entwickelt sich sehr ordent-
lich“, sagt Vorstand Helfried Giesen.
Die Akzeptanz der so gekennzeichne-
ten Fleischwaren sei gegeben, trotz des
Preisaufschlags von 10 Prozent. In
Deutschland sind die Produkte natio-
nal gelistet bei Kaufland, Hit, K+K und
Famila/Bünting. Die Abschriften lägen
auf dem Niveau von Markenproduk-
ten, sagt Giesen. Weitere Handelspart-
ner hat Westfleisch für neue Testmärk-
te gewinnen können. Bei Real findet
sich in zwei Testregionen zur Wurst
zusätzlich SB-Frischfleisch mit dem
Label in der Blockplatzierung. Insge-
samt, so Giesen, seien Aktion Tier-
wohl-Produkte damit in rund 1600
Märkten bundesweit zu finden. In der
Fleischwarenindustrie gibt es erste Li-
zenzpartner.
Auf der landwirtschaftlichen Seite
sind derzeit 120 Betriebe eingebunden,
die in das Programm liefern können.
80 weitere sind vorauditiert, so dass
dem wachsenden Bedarf entsprechend
produziert werden kann. 450 000
Schweine sind es pro Jahr, die nach den
Kriterien der Aktion Tierwohl erzeugt
werden. „Die Richtung geht zu einer
Million Schweine“, zeigt sich Giesen
optimistisch: „Ein Bedarf für Tier-
wohl-Sortimente ist eindeutig.“
Während Handel, Fleisch- und
Landwirtschaft dabei sind, Fakten zu
schaffen, nimmt sich in immer stärke-
rem Maße auch die Wissenschaft des
Themas Tierwohl und Nutztierhal-
tung an. In einem Strategiepapier zur
Tierhaltung der Deutschen Agrarfor-
schungsallianz (DAFA) plädieren die
dort zusammengeschlossenen 55 For-
schungseinrichtungen für die Ent-
wicklung gänzlich neuer Produktions-
systeme in der Schweine- und Geflü-
gelhaltung, um die heimische Nutz-
tierhaltung besser in Übereinstim-
mung mit den gesellschaftlichen Er-
wartungen zu bringen. Sie warnen
aber auch vor übereilten Maßnahmen
zur Produktkennzeichnung und zur
Marktsegmentierung, die sich derzeit
abzeichnen.
Es gebe grundsätzlich zwei unter-
schiedliche Optionen, schreiben die
Wissenschafter: Entweder ziele man
auf eine größtmögliche Transparenz
hinsichtlich des Einzelprodukts ab, et-
wa mit einem Tierschutz-Label, oder
man strebe eine Selbstverpflichtung
einzelner Unternehmen oder sogar
der gesamten Lebensmittelbranche
an, nur noch Produkte zu führen, bei
deren Herstellung bestimmte Min-
destkriterien erfüllt werden.
Komplizierte Rechtslage
Vielfältige juristische und ökonomi-
sche Aspekte seien dabei zu berück-
sichtigen. Insbesondere dann, wenn
im Zeitablauf eine Verschärfung der
Qualitätsstandards geplant sei und
somit die Produkte – bedingt durch
die höheren Kosten – einen steigen-
den Preisabstand zu den herkömmli-
chen Standardprodukten aufweisen,
könne bei Verbrauchern und beim
Lebensmittelhandel
der Anreiz
wachsen, das preisgünstige Segment
doch nicht komplett auszublenden
beziehungsweise auszulisten. „Im
marktwirtschaftlichen Wettbewerb
kann dies im Endeffekt zu einem La-
bel-Wettbewerb und zu einer Label-
Vielfalt führen, die für die Verbrau-
cher verwirrend ist, für den Tier-
schutz nur geringe Fortschritte bringt
und einen Dauerstreit zwischen den
Vertretern verschiedener Segmente
der Lebensmittelkette herbeiführt“,
heißt es in dem Papier. Hierbei gehe
es dann immer mehr um die Frage,
wer bestimmte Begriffe nutzen dürfe
(zum Beispiel „tiergerecht“), und um
den Vorwurf, unter manchen Labeln
würde nur eine „Mogelpackung“ ver-
marktet und Verbrauchertäuschung
betrieben.
„Erfahrungsgemäß wird dann
als letzte Instanz die Politik auf den
Plan gerufen. Sie soll mit verbind-
lichen Regeln klare Vorgaben für
alle schaffen“, vermuten die Wis-
senschaftler und schildern damit
ein Szenario, das die Wirtschaft
mit ihrem Vorstoß gerade zu ver-
hindern sucht.
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