Tierwohl_Gespräch - page 3

Nienhoff:
Jeder teilnehmende Betriebwird zu
Beginn einemErstaudit durch die Zertifizie-
rungsstelle unterzogen. Besteht er das Au-
dit, erhält der Tierhalter für seinen Betrieb
ein Zertifikat mit drei Jahren Laufzeit. Min-
destens einmal im Jahr wird die Einhaltung
der Anforderungen durch ein unangekün-
digtes Folgeaudit überprüft.
Wie sehen die Sanktionen aus?
Nienhoff:
Falls ein Tierhalter die von ihm zur
Zertifizierung angemeldeten Anforderungen
nicht umsetzt, verliert er den Anspruch auf
den Tierwohlzuschuss. Bereits empfange-
ne Zuschüsse muss er rückwirkend bis zum
letzten erfolgreichen Audit zurückzahlen.
Ein Sanktionsausschuss kann zudem Pro-
grammstrafen bis zu 100.000 € verhän-
gen und einen befristeten oder dauerhaften
Ausschluss von der Initiative beschließen. In
besonders schwerwiegenden Fällen kann es
zu einer Strafanzeige durch die Trägergesell-
schaft kommen.
Das sind harte Strafen. Rechnen Sie
dennoch mit einer guten Beteiligung
der Tierhalter?
Nienhoff:
Spürbare Sanktionen sind für ein
glaubwürdiges Tierwohl-Konzept unver-
zichtbar. Wer für eine zugesagte Leistung
Geld erhält, muss dies auch voll umfänglich
erbringen. Alle Beteiligten müssen sich auf
ein konsequentes Vorgehen verlassen kön-
nen. Das wissen und verstehen die Tierhal-
ter, dessen bin ich sicher.
Auf der anderen Seite ist das Programm
finanziell durchaus attraktiv. Nur ein Bei-
spiel: Ein Schweinemäster, der den Tieren
10 % mehr Platz im Stall sowie Raufutter
und offene Tränken anbietet, erhält dafür
einen Tierwohlbonus von 5,50 € pro Tier zu-
züglich des jährlichen Pauschalbetrages von
500 €. Bei 4.000 vermarkteten Schweinen
pro Jahr sind das 22.500 €. Diesen indivi-
duellen Bonus erhält er garantiert über die
Laufzeit seines Zertifikates und unabhängig
von den Marktpreisen. Ich bin überzeugt,
dass die Teilnahmebereitschaft auf Erzeu-
gerstufe groß ist.
Einige Tageszeitungen malen bereits
einen Anstieg der Verbraucherpreise für
Fleisch und Wurst an die Wand. Wird der
Einzelhandel den Tierwohlbeitrag an der
Ladentheke aufschlagen?
Nienhoff:
Das Finanzierungskonzept der In-
itiative macht keinerlei Festlegung zu der
Frage, wie die Einzelhandelsunternehmen
ihren Tierwohlbeitrag finanzieren. Die Be-
teiligten haben alle das Ziel, die Initiati-
ve ohne negative Rückwirkungen auf die
Fleischnachfrage umzusetzen. Den Beitrag
von 4 Cent pro kg Fleisch und Wurstwaren
halten die Vertreter des Einzelhandels für
machbar. Wie er sich finanziert, entschei-
det der Wettbewerb.
Apropos Wettbewerb, hat das Kartellamt
das Organisationskonzept genehmigt?
Nienhoff:
Wir haben das Bundeskartellamt
während der Vorarbeiten zur Initiative Tier-
wohl über die angestrebten Vereinbarun-
gen informiert. Anfang Juli fandmit der zu-
ständigen Beschlussabteilung ein ausführ­
liches Gespräch über das Organisations- und
Finanzierungskonzept statt. Das Amt gab zu
erkennen, dass es für die Umsetzung der Ini­
tiative grundsätzlich offen sei, aber auf ei-
ne kartellrechtskonforme Umsetzung ach-
ten werde. So etwas wie eine abschließende
„Genehmigung“ wird es wohl nicht geben,
eher beratende Hinweise. Völlig klar ist, dass
die Förderung des Tierwohls wettbewerbs-
neutral erfolgen muss.
Wie soll sich die Initiative
weiter entwickeln?
Nienhoff:
Zunächst einmal müssen wir sau-
ber aus den Startblöcken kommen. Allerdings
sieht die Branchenvereinbarung tatsächlich
eine kontinuierlicheWeiterentwicklung vor.
Der Fachausschuss wird künftig über Än-
derungen zum Beispiel der Anforderungen
und der Zuschüsse entscheiden. Änderun-
gen werden aber nicht für geltende und zu-
gesagte Vereinbarungen relevant. Sie kom-
men bei Vertragsverlängerungen oder -än-
derungen in Betracht.
Wie wird der Verbraucher über
die Initiative informiert?
Nienhoff:
Von Beginn an hatten die beteilig-
tenWirtschaftskreise denWunsch, den Ver-
braucher nicht durch ein zusätzliches Label
zu verwirren. Das würde außerdemvoraus-
setzen, dass die Tierwohl-Ware als solche
über die gesamte Vermarktungskette iden-
tifizierbar wäre. Das Konzept basiert jedoch
auf einer Massenbilanzierung. Es wird defini-
tiv kein Tierwohl-Siegel geben. Die Verbrau-
cherkommunikation wird im Schwerpunkt
Aufgabe der Unternehmen des Lebensmit-
teleinzelhandels sein. Dabei sollen einheit-
liche, abgestimmte Aussagen gegenüber den
Konsumenten verwendet werden, etwa nach
dem Muster „Wir unterstützen die Initiati-
ve zum Tierwohl“. Das Kommunikations-
konzept wird gerade zusammen mit einer
Agentur erarbeitet.
Ursprünglich sah es so aus, als ob die
Tierwohl-Initiative zuerst im Bereich der
Geflügelhaltung starten würde. Wie ist
dort der aktuelle Stand der Dinge?
Nienhoff:
Die Gespräche über die Branchen-
vereinbarung Geflügel dauern an. Die Aus-
gangslage ist eine andere, weil die Vermark-
tungswege bei Geflügel andere sind als beim
Schweinefleisch. Das verändert die Situati-
on für den teilnehmenden Lebensmittelein-
zelhandel, der die Tierwohlbeiträge finan-
ziert. Zudem war ursprünglich eine Näm-
lichkeit der Ware angestrebt worden. Wir
nähern uns aber jetzt einemKonzept ähnlich
wie dem der Schweinehaltung mit Massen­
bilanzierung und Clearingstelle. Ich bin zu-
versichtlich, dass wir auch für Geflügel bald
eine unterschriftsreife Branchenvereinba-
rung vorliegen haben werden. Wichtig sind
auch hier feste und kalkulierbare Tierwohl-
Zuschüsse für die Erzeuger, die unabhängig
vomMarktpreis gezahlt werden.
Herr Dr. Nienhoff, wir bedanken uns für
das Gespräch.
Webhinweis
Kriterienkatalog im Internet
Den abgestimmten Kriterienkatalog
der Initiative Tierwohl Schwein fin-
den Sie unter
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August 2014
Agribusiness Netzwerke
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Initiative Tierwohl
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