untitled - page 30

Zum
Hofe
30
THEORIE
darum, die Bauern mit ins Boot zu holen. Es ist doch fas-
zinierend, wofür die Landwirtschaft steht: für Erde, Wasser,
Luft, für Mensch, Tier. In der Frage nach einer guten
Mensch-Natur-Beziehung läuft hier alles zusammen. Des-
halb obliegen der Landwirtschaft auch viele gesellschaftli-
che Anliegen. Sie steht für Werte! Und die müssen einer
Gesellschaft aus verantwortungsbewussten Bürgern auch
etwas wert sein. Es geht um uns alle. Nicht um die Produ-
zenten hier und die Konsumenten da.“
Sie spielen auf mediale Lagerkämpfe an?
„Nicht nur. Wir sollten uns daran gewöhnen: Solange Tier
und Mensch zusammenleben, wird es Interessenkonflikte
geben. Es hilft uns nicht weiter, von einem Garten Eden zu
träumen. Gerade die Tierethik verdeutlicht: Wir leben in kei-
ner idealen Welt – und vielleicht ist sie auch niemals zu
haben. Trotzdem gilt es für uns Menschen, Verantwortung
zu übernehmen, an Verbesserungen zu arbeiten. Es ist ein
fortlaufender Prozess.“
Wenn Sie an Ihre landwirtschaftliche Praxis zurück-
denken, steckten Sie da auch in Interessen- und Werte-
konflikten – also so ganz praktisch?
„Rückblickend schon. Ich erinnere mich oft an einen klei-
nen Hof im Voralpengebiet, auf dem ich als Betriebshelfer
aushalf. Mit einem halben Dutzend Kühen werkelten wir da
vor uns hin. Eine Kuh hatte bei einer Flaschenzug-Geburt
einen Beckenbruch erlitten, der nie richtig behandelt
wurde. Sie stand nur zum Fressen auf, beim Stehen hatte
das Tier offensichtliche Schmerzen. Das war einfach so, wir
waren alle daran gewöhnt. Heute würde mir so eine Taten-
losigkeit hoffentlich nicht mehr passieren, so etwas geht
einfach nicht. Wenn ich wirklich vor etwas warnen möchte,
dann vor Gewöhnung. Und vor einfachen Patentlösungen
wie ‚small is beautiful‘.“
Sie erwähnten, dass die Mensch-Tier-Beziehung
einem aktuellen gesellschaftlichen Wandel unterliegt.
Wie sieht der aus?
„Vor rund 10.000 Jahren begann der Mensch, mit dem Tier
unter einem Dach zu leben. Mit den Nutztieren! Heute lebt
er auch noch mit Tieren zusammen, aber mit Streicheltie-
ren. Wer als Kind mit Hund und Katze aufwächst, der lernt:
Tiere sind Familienmitglieder, sie sind Partner. Daraus er-
wächst ein völlig anderes Konzept, das unsere Gesellschaft
aktuell verhandelt. Dies zu beobachten ist für uns Ethiker
extrem spannend. Schließlich sitzt bei einem großen Teil
der Bevölkerung das Tier einerseits am Esstisch, anderer-
seits liegt es auf ihm. Das wirft von ganz allein moralische
Fragen auf.“
In den 1950er Jahren arbeitete noch fast jeder Fünfte
in der Landwirtschaft. Viele Menschen hatten einen
Bezug zur Tierhaltung. Von all den Kaninchen und Hüh-
nern in Omas Garten ganz zu schweigen. Wie schaut nun
eine urbane Industrienation im Jahre 2014 auf Tiere?
1...,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29 31,32,33,34,35,36,37,38,39,...40
Powered by FlippingBook