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Die Freizeitgestaltung eines Veterinärs
richtet sich in erster Linie nach den
Diensten. Nachtdienst, Wochenend-
dienst, Dienst an Hund, Katz und Kuh.
Im Bereitschaftsdienst kann man
kaum abends über die Stränge schla-
gen oder zu einer spontanen Bergtour
am frühen Sonntagmorgen aufbre-
chen. Manchmal tut das schon weh,
grad im Sommer. Am Samstagnachmit-
tag vielleicht. Bei brütender Hitze fährt
man zum nächsten Einsatz übers
Land, die Gummistiefel am Bein bla-
sen muffig-schwitzige Luft aus den
Schäften, und die über den Tag ange-
sammelte Fliegenschar aus diversen
Ställen verdunkelt die Windschutz-
scheibe von innen. Auf dem Weg zu
einem ganz abgelegenen Gehöft lich-
tet sich dann mitten im Idyll der Wald
und gibt den Blick frei auf einen ma-
lerischen Moorsee, wo halbnackte
Menschen sich im Wasser erfrischen,
auf Decken liegen und auf der See-
bühne am Ufer eine jugendliche Rock-
band ihre Gitarren zur flirrenden
Sonne schrubbt. Im Vorbeifahren renkt
man sich den Hals fast aus bei dem
Anblick, dreht die Fenster runter und
versucht, ein paar Funken der Festival-
atmosphäre ins Auto zu saugen. Im
Austausch gegen eine Handvoll Flie-
gen. Für einen kurzen Augenblick
würde man doch gern mal auf die Vie-
cherei pfeifen.
Doch selbst „im Dienst“ muss man
sich nicht als totaler Freizeit-Asket ge-
bärden. In Zeiten der permanenten Er-
reichbarkeit ist es nicht weiter
verwerflich, sich trotz Bereitschaft
abends mit ein paar Leutchen im Bier-
garten zu verabreden. Ein lauschiger
Abend vielleicht, nach einem sowieso
schon ruhigen Arbeitstag. Wo man
sich denkt: „Heut war so wenig los,
da kommt sicher nix mehr. Da gönn
ich mir mal ein Bierchen.“ Ein alkohol-
freies, versteht sich. Und dann setzt
man den ersten Fuß auf den Biergar-
tenkies, freut sich an dem Knirschen
unter der Schuhsohle und spürt schon
im Geiste das kühle Radler die Kehle
hinunterrinnen. Die Freunde im Bier-
garten winken herüber – und da
scheppert das Handy. Scheppert das
Handy! In einer erzwungenen Naivität
hofft man im ersten Moment noch auf
einen privaten Anruf, eine Freundin
vielleicht. Doch der Blick aufs Display
erstickt die vage Hoffnung im Keim.
Schon beim Annehmen des Anrufes
wendet man sich wieder vom Biergar-
ten ab und geht zurück Richtung Auto.
Da kommt man halt nicht aus, Pflicht
ist Pflicht.
Jetzt ist es aber nicht so, dass man als
Tierarzt total versklavt ist. In unserer
Praxis war die Arbeit, und damit auch
die Rufbereitschaft, auf vier Kollegen
aufgeteilt. Ich war also jedes vierte
Wochenende im Einsatz, und unter
der Woche hatte ich höchstens zwei
Nachtdienste zu absolvieren. Das
Handy war trotzdem Tag und Nacht
an, auch außerhalb der Bereitschaft.
Nur für alle Fälle. Kann ja sein, dass
ein Kollege mal Unterstützung
braucht. Wenn ich darüber nachdenke,
wie viele Jahre ich schon der perma-
nenten Strahlung meines Mobiltele-
fons ausgesetzt bin, sende ich selbst
inzwischen vermutlich mehr Wellen
aus als ein Funkmast. Wo ich auftau-
che, ist Empfang.
Die Mama hat für das Phänomen
„Handy“ ihre ganz eigene Sicht entwi-
ckelt. „Des Handy is wichtiger als
wie’s Essen! Des is die Brotzeit von
die jungen Leut!“, konstatiert sie
gerne. Jedes Mal, wenn sie jemanden
mit Handy am Ohr sieht, kommt ein:
„Aha, da hat wieder einer die Brotzeit
ausgepackt!“ Und zu Hause auf dem
Küchentisch ein Handy liegen zu las-
sen, ist bei der Mama ebenfalls höchst
verpönt: „Jetzt räumt’s eure Brotzeit
weg, jetzt gibt’s was G’scheits zum
Essen!“
Total handyfreie Zone gibt es bei mir
selten, aber es gibt sie. Dann nämlich,
wenn ich im Urlaub bin. Handy aus,
kein Dienst, kein Notfall. Absolute
Stille. Oder hat da eben mein Handy
geklingelt? Ab und zu könnte ich
schwören, den Klingelton meines
Handys gehört zu haben. Reflexartig
klopfe ich dann hektisch meine Ta-
Zum
Hofe
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„Für einen kurzen
Augenblick würde man
doch gern mal auf
die Viecherei pfeifen.“
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