Zum
Hofe
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THEORIE
schen ab, um mich dann aber gleich
daran zu erinnern, dass ich meine
„Brotzeit“ im Hotelzimmer gelassen
habe. Mit Absicht. Im Urlaub versuche
ich also, die Notfälle durch simple
Nicht-Erreichbarkeit fernzuhalten. Was
aber, wenn die Notfälle einen anderen
Weg nehmen, um mich zu finden?
Etliche Jahre ist es her, da hab ich mit
der Eva Urlaub gemacht. Wir wollten
richtig entspannen. Die Eva war von
ihrem Job in der Kleintierklinik recht
mitgenommen, denn mit zwei lächerli-
chen Nachtdiensten in der Woche wie
ich kam sie nicht davon. Dort wurden
die Nachtdienste nur zwischen zwei
Tierärztinnen aufgeteilt, dementspre-
chend wenig freie Abende sprangen
dabei für Eva heraus. Und die Nacht-
dienste waren meist kein Spaziergang,
nächtliche Notfälle bei Hund und Katz
gibt es in einer Großstadt nämlich jede
Menge. Überarbeitet war sie, die Eva,
kurz davor, den Spaß an der Viechdok-
torei zu verlieren. Und da hat sie mich
irgendwann angerufen und gefragt, ob
wir nicht zusammen eine Woche Ur-
laub machen wollen. Dringend! In den
Bergen am besten. Freilich hab ich zu-
gesagt, noch dazu, wo sie sich um
alles kümmern wollte, Hotel buchen
und so weiter. Im Nachhinein war das
vielleicht ein wenig blauäugig, denn
wie sich herausstellte, hatte die Eva
eine geringfügig andere Vorstellung
von Erholung als ich.
Dass sie eine wepsige Person ist, war
mir natürlich klar. Aber dass sie trotz
ihrer Ausgelaugtheit einen Mountain-
bike-Urlaub für uns zwei buchen
würde, damit hatte ich nicht gerech-
net. Hotel in den Bergen, immerhin,
aber mit Mountainbike-Fahrtraining
und täglichen Bergtouren. Habe die
Ehre, das konnte ja sauber werden!
Mit Rücksicht auf mich hatte die Eva
uns für den Einsteigerkurs angemel-
det. Sie selbst war schon einige Male
mit dem Mountainbike in den Bergen
unterwegs gewesen. Ich nicht. Trotz-
dem widerstrebte mir die Vorstellung
eines Anfängerkurses. „Anfänger! Das
bisschen Bergradeln, das wird ja wohl
ned so schwierig sein.“
Schwierig war’s dann auch gar nicht,
aber brutal anstrengend. Jeden Tag
stundenlang bergauf radeln – Erho-
lung sieht für mich anders aus. Ich
wollte mir natürlich auch nicht die An-
fängerblöße geben, sondern mit mei-
ner guten Grundkondition punkten.
Sollten die nicht meinen, ich wär ein
Schlappmacher! Deshalb bin ich am
ersten Tag gleich mal zünftig voraus-
geradelt und hab den anderen sechs
oder sieben Radlern aus der Truppe
ein strammes Tempo vorgegeben.
Unser Tourführer, zugleich der Eigen-
tümer unseres Hotels, war ein braun-
gebrannter Mittfünfziger. Den werd ich
ja wohl noch runterradeln können!
Schließlich war ich nur halb so alt.
Schnell hatte ich mich von den ande-
ren abgesetzt, lahme Bagage! Und so
steil war’s ja auch gar nicht. Wenn das
alles sein sollte: Geschenkt!
Aber schon nach ein paar Kilometern
lotste uns unser Guide auf eine ge-
schotterte Forststraße, die sich binnen
Kurzem in steilen Kehren den Berg hi-
naufschraubte. Eh ich mich’s versah,
bildete ich das Schlusslicht, zusam-
men mit einem etwa gleichaltrigen,
sichtlich untrainierten Kerl aus Nord-
deutschland. Wunderbar! Ich befand
mich konditionell auf einer Stufe mit
diesem wabbeligen Preiß! Allein diese
Erkenntnis ließ mich schon giftig wer-
den! Der Abstand zur Gruppe vergrö-
ßerte sich. Mit jeder neuen Kehre und
dem sich immer weiter windenden An-
stieg wuchs mein Grant. So hatte ich
mir den Urlaub nun wirklich nicht vor-
gestellt! Das macht doch keinen Spaß!
Meine Oberschenkel brannten. Ich he-
chelte mich noch ein kurzes Stück wei-
ter, bevor ich schließlich vom Rad
stieg und schob. Wie peinlich! Weit
vorne konnte ich die Eva sehen, inmit-
ten der restlichen Radlergruppe.
Neben mir stieg der Preiß auch vom
Rad und begann ebenfalls zu schie-
ben.
„Wir treffen uns auf der Hütte oben!“,
wandte sich der Guide noch nach uns
um und verschwand dann mit den an-
deren hinter der nächsten Kehre. Ich
war mit dem Preiß allein. Prima!
Schnell wurde mir klar, dass er vermut-
lich nur abgestiegen war, um mich den
Rest der Wegstrecke bequem mit be-
langlosem Zeug volllabern zu können.
Er redete ohne Punkt und Komma, ich
sagte nichts. Der Kerl ging mir auf die
Ketten! Irgendwann sind wir dann
doch auch an der Berghütte angekom-
men. Schon von Weitem sah man die
bunt gekleideten Radler vor der Hütte
sitzen. Den Weg bis dahin säumten
mehrere friedlich grasende Kühe. Recht
zünftig hatten es die anderen bereits,
ließen sich ihren Kaiserschmarrn
schmecken und sahen überhaupt nicht
abgekämpft aus. Wir gesellten uns mit
hochroten Köpfen dazu.
Jetzt erst mal neue Kräfte sammeln.
Der Preiß hatte sich sein verschwitztes
Radlertrikot ausgezogen und zum
Trocknen über den Gartenzaun ge-
hängt. Natürlich mussten wir uns jetzt
ein paar armselige Sprüche über unser
spätes Eintreffen anhören. „Das
kommt davon, wenn man gleich am
Anfang losradelt wie eine Wilde!“,
puffte mir die Eva mit einem ver-
schmitzten Lächeln in die Seite. Ich
versuchte, es mit Fassung zu tragen,
und blickte betont gelangweilt an den
anderen vorbei. Dabei kam mir zufällig
eine Kuh ins Blickfeld. Ich beobach-
tete, wie sie gemächlich kauend um
den Gartenzaun herumschlich. Recht
nett gebimmelt hat sie dabei mit ihrer
Kuhglocke. Über dem Zaun hingen ei-