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Zum
Hofe
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nige nass geschwitzte T-Shirts, die hat
sie alle nacheinander abgeschnüffelt.
Beim T-Shirt vom Preißn ist sie stehen
geblieben. Ganz weiße Salzränder
hatte das Hemd beim Trocknen ge-
kriegt. Das muss auf die Kuh recht ein-
ladend gewirkt haben, denn schon hat
sie die Zunge ausgefahren und das
Hemd abgeschleckt. Ich schmunzelte.
Ausgerechnet das Hemdchen von dem
nervigen Quasselmännchen hatte sie
sich ausgesucht. Gute Entscheidung!
Jetzt ist aber eine Kuhzunge ganz
schön rau und beim Abschlecken ist
das Trikot immer wieder auf der Zunge
regelrecht kleben geblieben. Die Kuh
hat daraufhin nicht lang gefackelt und
sich das Hemd kurzentschlossen mit
einem einzigen Zungenschlag ins Maul
bugsiert. Weg war das gute Stück!
Außer mir schien niemand den kulina-
rischen Exkurs der Kuh beobachtet zu
haben. Mit halb geschlossenen Augen
fing die Kuh an, genüsslich darauf he-
rumzukauen. Ich stieß den Preiß, der
sich natürlich überflüssigerweise neben
mich gesetzt hatte, mit dem Ellbogen
zwischen die Rippen: „Du, de Kua hod
dei Hemad g’fressn!“ Er unterbrach sei-
nen inzwischen erneut aufgenomme-
nen Redeschwall und schaute mich mit
großen Augen an. „Dein Hemd gefres-
sen!“, wiederholte ich überdeutlich und
zeigte in Richtung Kuh.
Da verstand er. Wie ein Pfeil schoss er
hoch, blieb dann aber unschlüssig an
seinem Platz stehen und beobachtete
die Kaubewegungen des Kuhkiefers.
Jetzt wurden auch die anderen Radler
aufmerksam. Die Blicke wanderten von
der Kuh zum Preißn und zurück. Die
Schmatzgeräusche der Kuh nahmen zu,
anscheinend war die Sporttextilie recht
zäh. Man hörte vereinzelte Lacher am
Tisch.
Dem Preiß gefiel das alles natürlich gar
nicht. „Die frisst mein Trikot! Die Kuh
frisst mein Trikot!“, war alles, was er
zur Lösung der Situation beizutragen
hatte. Preißn-Weichei! Da erhob sich
unser Herbergsvater und marschierte
beherzten Schrittes in Richtung Kuh.
Ich fühlte meinen Moment gekommen.
Nach der Radelpleite konnte ich hier
und jetzt meine Ehre wiederherstellen.
Ich sprang auf und schnitt unserem
Guide den Weg ab.
„Das is mein Job!“, schob ich ihn bei-
seite. Mit der Aufmerksamkeit aller Hüt-
tengäste im Rücken ging ich um den
Zaun herum auf die Kuh zu. Sie ver-
suchte immer noch emsig schmatzend,
das Hemd hinunterzuwürgen. „Geh,
Weibe, wos machst’n für einen Kas!“,
sprach ich die Kuh mit tiefer Stimme
an, während ich gemächlich auf sie zu-
ging. Die Kuh blieb absolut gelassen,
wich meiner Annäherung in keiner
Weise aus. Das machte die Sache ein-
fach. Ich stellte mich auf Schulterhöhe
seitlich neben das Tier, legte ihr einen
Arm um den Hals und hatte sie im
Schwitzkasten. Die Kuh zeigte keine
Gegenwehr. Zum Glück! Es wäre mei-
nem Heldentum nicht sehr zuträglich
gewesen, wenn sie mich jetzt mit dem
Kopf durch die Luft geschleudert hätte.
Meine freie Hand zwängte ich jetzt von
der Seite in das Kuhmaul und tastete
mich auf der rauen Zunge nach hinten
Richtung Kehlkopf. Fast bis zum Ellbo-
gen steckte ich mit dem Arm im Rachen
der Kuh, bis ich endlich einen Zipfel
des Hemdes zu fassen bekam. Bloß
keinen Finger zwischen die Backen-
zähne bekommen! Das wäre fatal. Die
Backenzähne einer Kuh haben messer-
scharfe Ränder. Ich zog das Trikot nach
vorne aus dem Maul. „Dankschön,
Weibe!“, tätschelte ich der Kuh den
Hals. Gut eingeschleimt, wie eine über-
dimensionale Nacktschnecke hing das
Trikot an meiner Hand. Ich überreichte
dem blassen Preißnbürscherl sein Ei-
gentum. Mit spitzen Fingern nahm er
es angewidert entgegen.
„Iiihh! Das ist ja ekelig!“, kam es zum
Dank zurück. „Geh, dann gib her!“ Ich
entriß dem jungen Mann das Klei-
dungsstück wieder und wusch es in
dem Quellwassertrog an der Hütte aus.
Das Trikot hatte zahlreiche Löcher da-
vongetragen von den scharfen Backen-
zähnen der Kuh. Ich hängte es zum
Trocknen über die Lehne der Sommer-
bank neben dem Hütteneingang.
Zurück am Tisch, klopfte mir die Eva
stolz auf die Schulter: „Das hast ja
astrein hingekriegt!“ Und auch unser
Radlführer war beeindruckt: „Beinhart
sind’s, meine Mädels! Beinhart! Die eine
radelt wie ein Weltmeister, und die an-
dere verschwindet bis zum Kopf im Kuh-
maul! Beinhart sind’s, meine Mädels!“
Das ging runter wie Öl. Vergessen war
meine kleine konditionelle Schwäche,
ich hatte wieder Oberwasser. Der Preiß
hat das Trikot dann nicht mehr angezo-
gen und im Hotel sogar weggeworfen.
Undankbar auch noch!
Astrid Brandl:
Eine Kuh macht Muh –
viele Kühe machen Mühe.
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München
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