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Zum
Hofe
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Professor Grimm, wo unterscheiden sich Tierethik und
Tierschutz?
„Ein Tierethiker ist nicht automatisch Tierschützer. Tierethi-
ker beschäftigen sich mit dem moralischen Verhältnis von
Mensch und Tier, wir reflektieren es wissenschaftlich, um
es besser zu verstehen. Auch wenn das so gewonnene Wis-
sen gesellschaftspolitische Relevanz besitzt, ergreifen wir
keine Partei, wir sind keine Schiedsrichter und auch keine
Entscheidungsträger.“
Dieser Punkt scheint Ihnen am Herzen zu liegen ...
„Oh ja. Ethiker versuchen, Konflikte zu verstehen und Lö-
sungsideen zu bieten. Es geht auch darum, Brücken zu
bauen, damit sich etwas bewegen kann. Moralisierte De-
batten, deren Zielrichtungen schon im Vorfeld feststehen,
zementieren nur die Fronten.“
Sie unterrichten Philosophie auch an der veterinärme-
dizinischen Universität in Wien. Warum eigentlich?
„Die Mensch-Tier-Beziehung unterliegt einem gesellschaftli-
chen Wandel. Bei den Veterinären prallen die Folgen beinhart
aufeinander. Sie leben quasi im Wertekonflikt. Zudem in
einer unübersehbaren Widersprüchlichkeit: Der Schäferhund
wird kostspielig operiert, die Produktionseinheit Kuh zum
Abdecker gebracht, sobald sie keine Leistung mehr bringt.
Und das angesichts einer Berufsordnung, die seitens der
Bundestierärztekammer besagt: ‚Aufgrund der fachlichen
Kenntnisse und Fähigkeiten ist jede Tierärztin und jeder Tier-
arzt in besonderer Weise zum Schutz der Tiere berufen und
verpflichtet.’ Damit müssen Sie erst einmal umgehen.“
Erzählen Sie doch bitte von sich. Wie wurden Sie Land-
wirt und Philosoph?
„Nutztiere interessierten mich von Kindesbeinen an. Da ich
– nach meinen Kaninchen und Schafen – auch mein späte-
res Pferd selbst verpflegen wollte, suchte ich mir eine
Schule in der Nähe. Dass sie eine Ausbildung in Landwirt-
schaft, Lebensmitteltechnologie und Milchwirtschaft anbot,
war eher ein glücklicher Zufall. In Österreich ist eine prak-
tische Ausrichtung ja schon während des Abiturs möglich.
Nach einer anschließenden Zeit in England – hier in der
biodynamischen Landwirtschaft – arbeitete ich als Betriebs-
helfer. Danach wollte ich Bauer werden. Es gab sogar schon
einen Hof in Aussicht.“
Und dann?
„Dann kam alles anders. Ich hatte den Wunsch, zu studie-
ren, bevor es mit dem Hof losgehen sollte. Während der
vergangenen Jahre hatte ich so viele Formen von Landwirt-
schaft und Tierhaltung gesehen, dass ich die für mich rich-
tige herausfinden wollte. Das versprach ich mir von der
Philosophie, die ich mit den Schwerpunkten Ethik und an-
gewandte Ethik zunächst in Salzburg und Zürich studierte.
Später, an der Ludwig-Maximilians Universität in München,
übernahm ich ein erstes interdisziplinäres Projekt zur Ethik
in der Nutztierhaltung. Ein Thema, das mich bis heute fes-
selt und zu dem ich auch promovierte. Um den Hof war es
damit jedoch geschehen.“
Sie haben tatsächlich Philosophie studiert, um sich in
der Landwirtschaft zu orientieren?
„Ja, natürlich. In einer immer komplexer werdenden Welt
suchen die Menschen nach Orientierung. Die Philosophie
kann dabei helfen, neue Wege aufzuzeigen, neue Denkrich-
tungen. Sie erlebt gerade im Moment eine wahre Renais-
sance: Es gibt Technik-Ethik, Ingenieur-Ethik, sogar
Sport-Ethik. In der angewandten Ethik suchen Geisteswis-
senschaftler nach neuen Lösungsideen, indem sie ganz
praktische gesellschaftliche Teilbereiche unter moralisch-
normativen Gesichtspunkten reflektieren.“
Das erinnert mich an ein Interview, das Sie an anderer
Stelle gaben. Dort sahen Sie unsere Gesellschaft in
„Moralin schwimmen“ und spielten darauf an, dass uns
die Komplexität unserer Lebensverhältnisse zunehmend
überfordert.
„Ja, auch darum kann es gehen. Wie verhalte ich mich gut
und richtig auf dieser Welt? Diese Frage zu beantworten,
ist gar nicht leicht. Denn: Darf ich noch Fernreisen machen?
Was für eine Klimabilanz hat der Apfel, den ich kaufen will?
Auf welche Schule soll ich mein Kind schicken? Unser Leben
zeigt sich in tausend Kleinigkeiten wahnsinnig kompliziert.
Tiere, die ich gut versorge, machen es mir verhältnismäßig
leicht, mich als verantwortungsbewussten, moralisch kor-
rekten Bürger zu zeigen.“
Kann eine moderne Gesellschaft, die weder altern
noch sterben möchte, eigentlich damit umgehen, dass
Nutztiere sterben müssen?
„Tod, Krankheit und Alter bekämpft unsere Gesellschaft
oder verschließt sie hinter Mauern. Sie will sie nicht
sehen – und doch beschäftigen sie jeden Menschen. Na-
türlich reflektieren wir unsere Vorstellungen von Tod auch
über das Tier. Dabei können wir übrigens viel über unsere
eigenen Bedürfnisse lernen.“
Sie beackern ein durchaus anspruchsvolles Feld. Wie
hilfreich ist Ihnen da Ihre ganz praktische Erfahrung in
der Landwirtschaft?
„Sie ist ungeheuer wichtig! Von Anfang an ging es mir
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