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Es kommt auf Transparenz an

Langfassung des Interviews mit
Gabriele Bastian (qualitas Winter_2022)

Nachhaltigkeit, Biodiversität und Regionalität sind die wichtigen Zukunftsthemen für die Unternehmen des Fruchthandels. Zum veränderten Zusammenspiel zwischen Produzenten und Handel und zur Rolle von Konsumentinnen und Konsumenten haben wir mit der langjährigen Chefredakteurin des Fruchthandel Magazin, Gabriele Bastian, ein Interview geführt.

Gabriele Bastian arbeitete 30 Jahre lang in der Redaktion des Fruchthandel Magazins, davon nahezu 20 Jahre als Chefredakteurin. In dieser Zeit hat sich die gesamte Fruchtbranche sehr stark durch Konzentrationsprozesse, fortschreitende Digitalisierung und weitreichende politische Entscheidungen verändert.

Gabriele Bastian arbeitete 30 Jahre lang in der Redaktion des Fruchthandel Magazins, davon nahezu 20 Jahre als Chefredakteurin. In dieser Zeit hat sich die gesamte Fruchtbranche sehr stark durch Konzentrationsprozesse, fortschreitende Digitalisierung und weitreichende politische Entscheidungen verändert.

Sowohl im Fruchthandel als auch auf der Seite des LEH haben in den vergangenen 20 Jahren enorme Konzentrationsprozesse stattgefunden. Welche Auswirkungen hatte das auf die Produktion und wie haben sich dadurch die Sortimente und die Produktqualität verändert?

Gabriele Bastian: In der Tat steht heute der Produktion eine sehr überschaubare Zahl an LEH-Kunden gegenüber. Die Abhängigkeit ist dadurch enorm gestiegen, vor allem wenn es, wie z.B. bei Gemüse, keine oder nur geringe Exportmöglichkeiten für Produzenten oder Genossenschaften gibt. Durch die mangelnden Ausweichmöglichkeiten haben Erzeuger allgemein heute keine andere Wahl als sich komplett nach den Wünschen der wenigen Kunden zu richten.

Das ist, meiner Ansicht nach, eine problematische Situation, die aber auch Vorteile mit sich bringen kann. Es hat sich auf der einen Seite natürlich der Wettbewerb sehr verschärft und zu einem großen Druck auf die Erzeuger geführt. Auf der anderen Seite versucht der LEH, sich seine Beschaffungsquellen zu sichern. Dazu erarbeiten Produzenten und ihre vermarktenden Genossenschaften mit dem LEH Anbau-Programme, die eine gewisse Planungs- und Preissicherheit bieten. Vor allem Edeka und Rewe investieren zudem z.B. in die Ausweitung von Glashausproduktion in verschiedenen Gebieten Deutschlands. In diesen Fällen müssen die Erzeuger zum Teil auf eine betriebliche Selbständigkeit verzichten und sich zu 100 % bei der Sortenwahl, bei Menge, Verpackung, Qualität etc ausschließlich nach dem Kunden richten.

Durch die wachsende Einflussnahme der LEH-Unternehmen auf die Produktion konzentriert sich das Sortiment also immer stärker auf deren Wünsche und vor allem auf deren Anforderungen. Das heißt, dass z.B. Beschränkungen im Bereich Pflanzenschutz seit den Aktionen von Greenpeace Anfang der 2000er Jahren heute normal sind und jedes Unternehmen andere Vorgaben macht - aber eben nicht nur beim Pflanzenschutz. Heute steht beim LEH das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt und die Unternehmen stellen, wegen ihres Images beim Verbraucher, hohe Anforderungen an die Art der Produktion. Ich denke hier besonders an den Insektenschutz und umweltfreundlich arbeitende Anbau-Technik. Durch diesen Druck sind neue Sorten gefragt, die resistent oder weniger anfällig für Krankheiten und Schädlinge sind. Im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategien setzt der LEH zudem heute stark auf Regionalität und Bio, was die Verbraucher honorieren. Dies gab es vor 20 Jahren noch nicht. Hier liegt eine Chance für Produzenten durch Nahversorgung einen Mehrwert zu erzielen.

Ein anderes große Thema ist Geschmack. Der LEH will bei seinen Verbrauchern mit frischem, leckerem Obst und Gemüse punkten. Frisches Obst und Gemüse ist nun einmal ein Bereich, der die Menschen in die Läden lockt. In Sachen Geschmack hat sich in den vergangenen Jahren besonders viel getan und das Sortenspektrum wurde spürbar ausgedehnt. Es gibt nicht mehr die Tomate, die Traube oder den Apfel. Heute finden Verbraucher - besonders bei selbstständigen Supermarkt-Kaufleuten - ein Sortiment wirklich für jeden Geschmack und jede Verwendungsart. Das ist positiv und trägt mit dazu bei, dass der Konsum steigt. Wenn ich mich an die Anfänge des Deutschen Fruchtpreises, den ich Mitte der 90er Jahre mit aus der Taufe heben durfte, erinnere, so sind die damals ausgezeichneten Obst- und Gemüseabteilungen heute unterer Standard. Für Produzenten kann eine Diversifizierung zum einen den Vorteil bringen, sich und die Genossenschaft durch Know-how von anderen abzuheben. Aber Diversifizierung im Anbau bedeutet auch komplexere betriebliche Abläufe und meist höhere Kosten, die nicht vom Kunden gedeckt werden. Rückblickend betrachtet, hat sich Qualität, Frische und Sortenvielfalt in den vergangenen Jahren schon deutlich verbessert.


Die Ansprüche von Verbraucherinnen und Verbrauchern schwanken irgendwo zwischen möglichst günstig und hohen Anforderungen an Frische und Produktqualität sowie an Regionalität und Nachhaltigkeit. Wie können sich Unternehmen des Fruchthandels künftig positionieren?

Bastian: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Die Fruchtunternehmen sind Spezialisten in Sachen Beschaffung, sowohl für das Preiseinstiegs-Sortiment als auch für besondere Qualität, besondere Produkte oder Nachhaltigkeit. Dabei arbeiten sie kundenkonform, so dass die Ware für den LEH je nach Kundenwunsch bereitgestellt wird. Allgemein kann ich sagen, dass auf bestimmte Obst- und Gemüsearten, Herkünfte, Serviceleistungen oder Preissegmente spezialisierte Fruchtunternehmen auch in Zukunft erfolgreich sein können. Auf dieses Know-how greift der LEH immer gern zurück.

 

Blaubeeren aus Peru, Mangos von den Philippinen – wie lassen sich Verbraucherwünsche und Nachhaltigkeitsziele vereinbaren?

Bastian: Es gibt zahlreiche Konsumstudien, die das Verhalten der Verbraucher bezüglich Nachhaltigkeit und z.B. Überseeprodukte untersucht haben. Ein eindeutiges Ergebnis lässt sich nicht erkennen. Natürlich gibt es die Konsequenten, die stark regional, lokal und Bio kaufen, um möglichst viel CO2 einzusparen und auf die strengen deutschen Vorschriften bezüglich Pflanzen- und Insektenschutz setzen. Diese greifen eher nicht zu Überseeware. Aber es gibt auch diejenigen, die überhaupt nicht auf nachhaltig produziertes Obst und Gemüse achten, sondern vor allem nur darauf aus sind, günstig einkaufen zu können. Wenn, um bei Ihrem Beispiel zu bleiben, peruanische Blaubeeren in der 200 g-Schale für 89 Cent angeboten werden, greifen die Preisbewussten zu, ohne über mögliche lange Transportwege oder Nachhaltigkeit nachzudenken. Dann gibt es noch die junge Generation, die nachhaltige Produkte kaufen wollen, weil es ihnen wichtig und gerade aktuell ist – aber zu einem möglichst günstigen Preis. Das macht es auch für den LEH nicht immer leicht, denn er will im harten Wettbewerb um jeden Verbraucher niemanden als Kunden verlieren. So gestaltet sich heute auch das Sortiment in der Obst- und Gemüseabteilung. Von Bio- und lokal erzeugter Ware bis hin zu Preiseinstieg finden Konsumenten meistens alles, sogar nun auch verstärkt bei den Discountern. Ich denke, dass viel mehr sachliche Verbraucherinformation über die gesamte Lieferkette nicht nur im LEH, auch auf Initiative der Branche hin, etabliert werden muss, damit Konsumenten ihre Wünsche und Nachhaltigkeitsziele vereinbaren können. Es kommt auf Transparenz an.


Der Klimawandel ist aktuell das große Thema. Wie wird er die Branche verändern?

Bastian: Zunächst einmal muss ich feststellen, dass die Klimakrise die Branche längst schon verändert hat. Beginnen wir mit den jüngsten Wetterproblemen auf Sizilien. Wolkenbruchartige Regenfälle und schwere Gewitter mit Hagel haben viele Citrus-Plantagen zerstört. Üblich zu dieser Zeit sind eher leichte Regenfälle. Aber auch in Nordeuropa ist die Erwärmung spürbar, so dass sich hier Produkte etablieren lassen, die früher eher im Mittelmeer-Raum angesiedelt waren. Außerdem kommt es zu unerwarteten heftigen Wetterereignissen. Die Hagelversicherungen melden seit drei bis vier Jahren bereits steigende, größere Schadensfälle in der Produktion. Auch invasive Schädlinge aus südlichen Regionen finden zunehmend im nördlichen Europa eine Heimat. Das fordert die Forschung, neue Sorten und neue Schutzmechanismen zu entwickeln. Im Laufe der kommenden Jahre muss sich die Branche einerseits auf häufige Ausfälle durch Wetterereignisse einstellen, was Auswirkungen auf die Produktbeschaffung hat, andererseits bieten sich durch neu etablierte Obst- und Gemüseprodukte auch Chancen für nördliche Anbauregionen und somit auch Chancen für die Branche.


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