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Die Neue Düngeverordnung – Expertenmeinungen Teil 1

Interview mit Kerstin Mahler (DLR)

Die neue Düngeverordnung (DüV) verlangt unter anderem, dass ab 1. Januar 2021 in sogenannten roten Gebieten 20 Prozent unter dem ermittelten Stickstoffbedarf gedüngt wird. Das wird nicht ganz ohne Ertrags- und Qualitätsverluste funktionieren, so die Reaktion von Kerstin Mahler vom DLR Rheinland-Pfalz. Wir haben mit ihr über die Auswirkungen für den Gemüseanbau gesprochen.

Kerstin Mahler (DLR Rheinland-Pfalz)

Kerstin Mahler (DLR Rheinland-Pfalz)

Was bedeutet die neue DüV insbesondere für ihre Region?

Kerstin Mahler: Die neue DüV wird ab 1. Januar 2021 in den roten Gebieten zu einer echten Herausforderung für den Anbau und für die Beratung. Der Ausgang ist derzeit offen. Die Zahl der Gemüsebaubetriebe schrumpft seit Jahren. 2004 hatten wir noch 738 Betriebe, 2018 waren es z. B. nur noch 370. Wir haben in der Vergangenheit schon mehrfach gesehen, dass die stetige Zunahme an Auflagen viele Gemüsebaubetriebe überfordert. Hinzu kommt die mit jeder Auflage steigende Dokumentationspflicht. Betroffen sind vor allem kleinere und mittlere Betriebe, die häufig frühzeitig ihren Betrieb aufgeben, weil sie neben der arbeitsintensiven Feldarbeit die zusätzliche Büroarbeit nicht mehr schaffen. Diesen Trend wird die neue DüV sicherlich verstärken.


Wird es für den Gemüsebau möglich sein, weiterhin die gewohnten Mengen und Qualitäten zu produzieren?

Nein, das wird nicht ganz ohne Ertrags- und Qualitätsverluste funktionieren. Stickstoff ist ein wichtiger Baustein der Proteine und des Chlorophylls. Er ist Wachstumsmotor, fördert die Blatt- und Stängelentwicklung und sorgt für eine frischgrüne Farbe. Bereits geringe Mängel führen zu einer deutlichen Verringerung von Wachstum und Ertrag. Wie stark sich die Einschränkungen auf die Mengen und Qualitäten im Gemüsebau auswirken, wird davon abhängen, wie gut wir die Stickstoffeffizienz zukünftig über die mineralische und/oder organische Düngung, insbesondere aber auch über Bodenpflege und über Fruchtfolgen verbessern können.


Was sind konkrete Zeichen für einen Stickstoffmangel?

Die Symptome beginnen mit Blattaufhellungen, zunächst an den älteren, später auch an den jüngeren Blättern. Im fortgeschrittenen Stadium werden die Blätter chlorotisch, verfärben sich rot und fallen ab. Die Blätter bleiben klein und das Pflanzenwachstum verringert sich. Oft kommt es zu vorzeitigem Triebabschluss und verfrühter Blütenbildung (Notblüte). Mit diesen Symptomen verlieren viele Gemüsekulturen nicht nur an Ertrag sondern auch ihre Vermarktungsfähigkeit.


Welche Kulturen sind besonders betroffen?

Stark betroffen ist vor allem Blattgemüse. Freiland-Feldsalat z. B. wird unter diesen Bedingungen schwer zu produzieren sein. Aufgrund seiner geringen Durchwurzelungstiefe von gerade mal 15 cm gerät er selbst bei einer bedarfsgerechten Stickstoffversorgung sehr schnell in eine Mangelsituation. Bei starken Niederschlägen wird Nitrat aus dieser Zone schnell in tiefere, für die Pflanzen unerreichbare Bodenschichten verlagert. Die Folge sind dann schnell gelbe Keim- und Rosettenblätter. Auch andere Blattsalate reagieren auf Stickstoffmangel sehr schnell. Mit blassen, gelbgrünen Blättern und einer geringen oder gar fehlenden Kopfbildung bzw. -füllung sind die Qualitäten für eine Vermarktung nicht mehr erreicht. Bei einigen Langtagpflanzen, wie z. B. Rucola, kann ein verringertes Stickstoffangebot im Sommer außerdem das Schossrisiko erhöhen und zu Ertragseinbußen und Ausfällen führen.

Auch Kohlgemüse mit seinem hohen Stickstoffbedarf steht unter der neuen DüV unter einem hohen Druck. Das wird in der Pfalz besonders im Blumenkohl und Brokkoli spürbar werden. Blumenkohl-Stückgewichte mit 1.200 g für 6 Stück in der Kiste oder Brokkoli mit 500 g-Köpfen werden mit reduzierten Stickstoffgaben sehr schwer zu produzieren sein.


Es gibt aber auch robustere Sorten hinsichtlich Stickstoff…?

Wurzelgemüse ohne Laub, wie z. B. Möhren, Pastinake, Wurzelpetersilie oder Schwarzwurzel, kommt mit einer geringeren Stickstoffversorgung zurecht. Diese Kulturen können sich den Stickstoff aus tieferen Bodenschichten erschließen und vertragen Nmin-freie Böden zum Erntezeitpunkt besser. Unter Umständen werden geringere Erträge zu verbuchen sein, aber die Vermarktungsfähigkeit bleibt erhalten. Ähnliches gilt für Fruchtgemüse wie z. B. Zucchini, Kürbis, Melone oder Freilandgurken, das mit Tropfbewässerung sehr gezielt versorgt werden kann. Auch die Gemüse-Leguminosen wie z. B. Erbse, Buschbohne, Stangenbohne können durch die N-Bindung aus der Luft viel kompensieren.


Werden einige Kulturen demnächst regional nicht mehr zur Verfügung stehen?

Wie sich die neuen Vorgaben der DüV auf das Angebot regionaler Produkte 2021 tatsächlich auswirken, ist schwer vorhersagbar. Wenn wir uns die aktuellen roten Gebiete in Deutschland anschauen fällt auf: Wir sitzen alle im gleichen Boot. Die Frage, die sich generell stellt: Welche Qualitäten werden Handel und Verbraucher akzeptieren und zu welchem Preis.


Was ist die Lösung?

Wer unter den neuen Auflagen für nitratgefährdete Gebiete weiterhin erfolgreich produzieren will, muss sich ein Stück weit neu erfinden. Neben all den Möglichkeiten einer effizienteren Düngung wird es vor allem auf eine sehr gute Planung der Fruchtfolge ankommen. Ein entsprechender Anteil an Leguminosen für die Stickstoffbindung aus der Luft könnte genauso wichtig werden wie der Anbau von Zwischenfrüchten zum Konservieren von Bodenstickstoff und zur Verlagerung von unteren Bodenschichten in die oberen 0-30 cm. Auch Ackerbaukulturen wie z. B. E-Weizen und Körnermais, die mit geringeren Stickstoffgaben besser zurechtkommen, können dem Gemüseanbau die benötigten Stickstoffreserven bescheren. Das Freisetzungspotenzial aus Ernteresten von z. B. Blattkohlen wäre eine weitere bisher wenig beachtete Stickstoffquelle, die sich vielleicht noch optimieren ließe. Die verschiedenen Maßnahmen werden wir in den nächsten 2 Jahren im Rahmen eines Projektes in der Praxis begleiten, um Grenzen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Eine interessante Kulturfrage wird zukünftig auch sein, welche Gemüsesorten mit weniger Stickstoff zurechtkommen.


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