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Viele Menschen wünschen sich moralische Entlastung

Langfassung des Interviews mit
Prof. Dr. Peter Kenning (qualitas Herbst_2020)

Führt die Coronapandemie womöglich zu einer nachhaltigeren Lebensweise? Unter welchen Umständen ändern Verbraucher ihr Verhalten? Und wie halten wir es mit der Ethik? Ein Blick in die Verbraucherforschung.

Prof. Dr. Peter Kenning ist seit 2014 Professor für BWL, insbesondere Marketing, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Mitglied des QS-Kuratoriums. Das 37-köpfige Gremium berät die Geschäftsführung und die Fachbeiräte von QS in grundlegenden Fragen. Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbraucherschutz führen dabei stellvertretend für diese Gruppen den Dialog.

Prof. Dr. Peter Kenning ist seit 2014 Professor für BWL, insbesondere Marketing, an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Mitglied des QS-Kuratoriums. Das 37-köpfige Gremium berät die Geschäftsführung und die Fachbeiräte von QS in grundlegenden Fragen. Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbraucherschutz führen dabei stellvertretend für diese Gruppen den Dialog.

Wie werden sich möglicherweise Märkte verändern durch die Coronapandemie?

Prof. Kenning: Märkte unterliegen vielen Einflüssen und verändern sich ständig. Gravierenden Einfluss auf die Marktentwicklung können politische Entscheidungen oder aber exogene Entwicklungen haben. In der Finanzmarktkrise brach beispielsweise die internationale Kreditversorgung plötzlich zusammen. Diese Krise auf der Angebotsseite hat politische Reaktionen hervorgerufen, die den Finanzmarkt bis heute verändern. Im Moment erleben wir eine sehr ungewöhnliche Situation: Zum einen haben wir eine Krise auf der Angebotsseite, da manche Unternehmen nicht mehr in gewohnter Art und Weise produzieren können. Auf der anderen Seite bricht der Konsum ein, da die Menschen nicht mehr wie gewohnt konsumieren können. Und schließlich greift die Politik zum Teil tief in das Marktgeschehen ein. All das wird natürlich Auswirkungen auf die Märkte der Zukunft haben. Manchen Konsum wird es in der Form nicht mehr geben, manche Angebote werden nach der Krise nicht mehr vorhanden sein, und schließlich wird der Staat versuchen, die Konsolidierungskosten zu decken, was zu Lasten des Konsums gehen könnte. Corona wird also tiefe Spuren hinterlassen. Wirtschaftspolitisch sind dabei zwei Dinge bereits gut erkennbar. Zum einen wird es darum gehen, Maßnahmen zu ergreifen um die ökonomische Resilienz zu erhöhen. Dies kann zu Effizienzeinbußen führen, zum Beispiel dann, wenn bestimmte Güter bevorratet werden müssen. Aber durch solche Reserven können die negativen Folgen künftiger Krisen abgeschwächt werden. Zudem entsteht Raum für Innovationen. Zum anderen geht es darum, Krisen zu vermeiden, etwa dadurch, dass man die Wirtschaft durch geeignete politische Maßnahmen auf einen stetigen, nachhaltigen Wachstumspfad führt. Die Märkte müssen also nicht nur krisenfester werden, sondern auch nachhaltiger und damit weniger risikoreicher. Wie tiefgreifend die dafür erforderlichen politischen Maßnahmen die Märkte verändern werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Wir befinden ist ja aber auch noch mitten in der Pandemie.

 

Rechnen Sie mit einer stärkeren Hinwendung der Konsumenten zu nachhaltigen Produkten?

Dies hängt ganz wesentlich von den Rahmenbedingungen ab. Nachfrage und Angebot bedingen sich gegenseitig. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat einmal gesagt: Der Handel bestimmt, was in den Regalen steht und damit auch, was gekauft wird. Ganz so einfach ist es zwar nicht, aber wenn es keine nachhaltigen Produkte gibt, die als solche klar erkennbar sind, dann kann der Kunde nicht nachhaltig konsumieren. Wenn wir beispielsweise auf das individuelle Verbraucherverhalten im Bereich der roten Ware schauen, dann sehe ich nicht, dass es sich abrupt in Richtung Nachhaltigkeit verändern wird. Gleichwohl ist hier aber einiges in Bewegung gekommen, lange vor Corona. Interessant wird es dann, wenn eine mutige Änderung der Angebotsstruktur auf eine veränderungsbereite Verbraucherschaft trifft. Dann können Strukturen entstehen, die einen nachhaltigen Konsum ermöglichen. Wir beobachten dies derzeit im Bereich des Tierwohls. Durch die Veränderung der Angebotsstruktur kann der Kunde künftig anders konsumieren. Ob und in welchem Maße daraus ein wirtschaftlicher Erfolg wird, hängt allerdings auch davon ab, zu welchen Preisen die Produkte angeboten werden. Viele Kunden fragen sich ob, sie sich die gegebenenfalls teureren, nachhaltigeren Produkte leisten können. Das ist eine nicht unerhebliche Frage, wenn man bedenkt, dass derzeit noch viele Menschen in Kurzarbeit sind. Einer aktuellen Studie des Haushaltsbarometers zufolge erleiden etwa 17 Prozent der Haushalte seit Beginn der Krise Einkommensverluste. Dies wird zweifelsohne einen Einfluss auf das Konsumverhalten haben.

 

Also brauchen wir die Tierwohlabgabe.

Die Tierwohlabgabe wird vermutlich dazu führen, dass Fleischprodukte teurer werden. Dadurch würde sich das Konsumverhalten preissensitiver Kunden ändern. Damit stellt sich die Frage nach der politischen Machbarkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass Corona eine Chance bietet, mehr Tierwohl zu erreichen. Vielen Menschen ist aber nicht klar, wie die Bedingungen in den Schlachtbetrieben durch eine Tierwohlabgabe verbessert werden sollen. Das Geld soll ja bei denjenigen ankommen, die bereit sind, moderne Ställe zu bauen und nicht bei den Schlachtbetrieben.

 

Ich kann verstehen, dass die Tierwohlobby versucht diese Gelegenheit zu nutzen, um Verbesserungsbedarf zu annoncieren. Aber das ändert ja aber nichts an den Zuständen in der fleischverarbeitenden Industrie. Da geht es zunächst um Menschenwohl.

Ja, es geht darum, die Bedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeiter in den Betrieben zu verbessern. Man sollte hier aber eine europäische Lösung anstreben, denn ansonsten verlagert man das Problem vermutlich nur räumlich. Einen bestimmten Mindestlohn national festzulegen, ohne die Möglichkeiten einer Verlagerung mit in den Blick zu nehmen erscheint mir jedenfalls diskussionswürdig.

 

Das hört sich nach einem langwierigen Prozess an, wir haben aber hierzulande den Eindruck, dass sehr schnell etwas passieren muss.

Es kann durchaus schnell gehen, wenn der politische Wille vorhanden ist. Deutschland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne und kann Impulse setzen. Auch dürfte sich die Position der Bundesregierung durch die maßgebliche Rolle die sie im Rahmen der Finanzierung der Krise europaweit eingenommen hat, noch einmal verbessert haben.

 

Geht ein öffentlicher Skandal, wie wir ihn in diesen Sommer erlebt haben, schon weit genug, dass Verbraucher sich betroffen genug fühlen um ihr Verhalten zu ändern?

Neben strukturellen Aspekten und ökonomischen Motiven ist für eine Veränderung des Verbraucherverhaltens der persönliche Bezug zum jeweiligen Problem wichtig. Viele Menschen fragen sich zunächst einmal, was eine bestimmte Entwicklung oder Maßnahme für sie ganz persönlich bedeutet. Die Antwort auf diese Frage kann je nach Situation, Person oder Objekt ganz unterschiedlich ausfallen. Im Moment sehen wir, dass die aktuelle Situation viele Menschen persönlich betrifft. Schlechte Bedingungen in den Schlachtbetrieben werden zum persönlichen Gesundheitsrisiko. Das heißt psychologisch, dass das Thema Tierwohl im Moment durch den Corona-Bezug erheblich an Relevanz gewonnen hat. Ob diese Relevanz von Dauer ist, bleibt fraglich. Es ist eher unwahrscheinlich. Die aktuelle Situation schafft aber einen politischen Moment, der es ermöglicht Entscheidungen zu treffen, die sonst kaum möglich wären. Dies gilt übrigens nicht nur für das Thema Tierwohl, sondern auch für andere Themen, die mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verbunden sind. Viele Menschen spüren, dass wir in eine entscheidende Phase eingetreten sind und engagieren sich aus persönlicher Betroffenheit.

 

Da sind wir beim Thema des mündigen Verbrauchers – welche Informationen braucht er, bekommt er und was kann er überhaupt verarbeiten?

Eine Kaufentscheidung in einem Supermarkt wird in durchschnittlich sechs Sekunden getroffen. Es ist ein Irrglaube, dass Kunden zwangsläufig mehr Informationen wünschen. Sie brauchen diese nur dann, wenn im Konsum Risiken liegen. Die allermeisten Menschen wünschen sich vielmehr einen risiko- und damit sorglosen Konsum. In gleichem Maße, wie die Menschen bemerken, dass sie Verantwortung für ihr Konsumverhalten übernehmen sollten, steigt der Bedarf nach einer moralischen Entlastung. Glaubwürdige Produktkennzeichen können diese Funktion übernehmen. Wichtig wäre allerdings, dass es im Wettbewerb um das Kundenvertrauen durch Label und Siegel keinen information overload gibt. In einer Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats Ernährungs- und Verbraucherverhalten wurde bereits vor einigen Jahren festgestellt, dass es allein im Bereich der Ernährung je nach Zählweise bis zu 90 verschiedene Labels gibt, die zum allergrößten Teil von den Unternehmen selbst entwickelt wurden. Es ist klar, dass die Verbraucher dann die Orientierung verlieren. Dies gilt im Übrigen insbesondere für die verletztlichen Verbraucherinnen und Verbraucher, die oft aus dem Blick geraten. Gerade diese möchten sich darauf verlassen, dass, sich irgendjemand darum kümmert, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Meistens soll dies der Staat sein. Wenn also der Staat mehr Nachhaltigkeit will, sollte, so die Meinung, sich dieser auch darum kümmern, dass im Regal nur nachhaltige Produkte stehen. Entwicklungen wie die Initiative Tierwohl oder das staatliche Tierwohllabel gehen hier genau in die richtige Richtung. Sie ermöglichen, sich auf wenige, aber aussagekräftige und vertrauenswürdige Informationen zu verlassen. Sie bieten Orientierung, schaffen Vertrauen und helfen den Verbraucherinnen und Verbrauchern dabei, moralisch zu konsumieren.

 

Welche Rolle spielt die Vorstellung vom mündigen Verbraucher in der Politik?

Die zum Ausdruck gebrachten Positionen dazu sind unterschiedlich und ändern sich regelmäßig. Der Koalitionsvertrag 2014 hat im Verbraucherkapitel explizit mit der Aussage eröffnet: Das Leitbild unserer Verbraucherpolitik ist ein differenziertes Leitbild. Der aktuelle Koalitionsvertrag trifft dazu keine explizite Annahme. Das bedeutet aber keine Abkehr von der damaligen Position. Vielmehr legen die meisten politischen Akteure meiner Wahrnehmung nach implizit ein oft differenziertes Verbraucherleitbild zugrunde. Trotzdem ist es so, dass politisch oft eine Verbesserung der Verbraucherinformation nach dem Motto Mehr ist besser gefordert wird. Damit nimmt man den mündigen Verbraucher in die Pflicht. Im Bereich Tierwohl scheint dies sinnvoll zu sein. In anderen Bereichen stößt dieser Ansatz aber an Grenzen.

 

Warum braucht man ein staatliches Tierwohllabel, wenn es doch eine Initiative Tierwohl schon gibt? Wie sollen Konsumenten das auseinanderhalten?

Das hat meiner Meinung nach mindestens zwei Gründe. Zum einen ist das staatliche Tierwohllabel seit längerem Gegenstand des Koalitionsvertrags. Daraus ergibt sich ein Mandat, dem man entsprechen möchte. Zum anderen haben viele Politiker mit privatwirtschaftlichen Initiativen nicht immer die allerbesten Erfahrungen gesammelt. Das betrifft allerdings nicht in erster Linie die Lebensmittelwirtschaft.

 

Die Frage ist dann, wo endet die hoheitliche Aufgabe und wo beginnt die Aufgabe des Handels, der Erzeuger und am Ende auch der Konsumenten?

Sind die Regeln klar, können ökonomische Prozesse greifen. Der Staat kann aber jederzeit korrigierend eingreifen. Klassische Grenzen sind ja im Wettbewerbsrecht oder im Lauterkeitsrecht definiert. In Analogie dazu könnte man Grenzen definieren, ab denen staatliches Handeln im Hinblick auf die Nachhaltigkeit legitim ist. Im Ernährungsbereich könnte man beispielsweise bis zum Erreichen bestimmter Punkte beziehungsweise Grenzen mit einer Verbesserung der Verbraucherinformation auskommen. Werden diese Grenzen überschritten könnte man steuerpolitische Maßnahmen ergreifen und so weiter bis hin zum Verbot bestimmter Produkte.

 

Sie haben sich im Social-Lab-Projekt unter anderem mit dem Bild der Verbraucher von der Landwirtschaft beschäftigt.

Für uns war es wirklich spannend zu sehen, welche Bilder die Menschen von der Nutztierhaltung haben. Im Projekt wurde dabei immer deutlicher, dass viele Menschen nahezu museale Bilder im Kopf haben. Diese Bilder sind sicher auch durch Markennamen wie Gut Drei Eichen oder Bauernglück entstanden. Viele Menschen sind dann zwangsläufig entsetzt, wenn sie mit realistischen Bilder konfrontiert werden. Der daraus resultierende Konflikt wird aber regelmäßig wieder verdrängt, denn nur wenige möchten sich moralisch-ethisch damit belasten. In manchen Fällen findet man allerdings auch die Aussage, dass es wichtig ist, dass es dem Tier zu Lebzeiten gut ging. Damit wären wir wieder beim Thema Tierwohl.

Im Projekt wurde auch analysiert, welchen Einfluss die Medien und die direkte Kommunikation zwischen Landwirten und Verbrauchern auf die Meinungsbildung haben. Dabei zeigte sich, dass die Medien keinesfalls nur negativ berichten. Die These, dass die gesellschaftliche Akzeptanz primär durch einseitige Darstellungen in den Medien entstanden ist, lässt sich daher so nicht aufrechterhalten. Im Hinblick auf die direkte Kommunikation zeigte sich, dass immer dann, wenn Landwirte ihr Verhalten begründet erklären können, dies einen durchaus positiven Effekt auf die Meinungsbildung hat. Dann nähern sich die Positionen an.

 

Gibt es ein Folgeprojekt?

Ja, aus dem ersten Projekt haben sich einige Fragestellungen ergeben, denen wir nun weiter nachgehen möchten. Unter anderen möchten wir in einem Reallabor gemeinsam mit dem Handel und Verbrauchern innovative Marketingkonzeptionen realisieren. Zudem entwickeln wir unter Leitung des Thünen-Instituts einen Indikator, mit dem die gesellschaftliche Akzeptanz der Nutztierhaltung gemessen werden kann. Bisher gibt es einen solchen Indikator nicht. Wir denken, dass diese Lücke unbedingt geschlossen werden sollte.

 


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